Dienstag, 28. Juli 2015

Andere Länder, andere Familienpolitik #2 [Frau / Mutter sein in Sri Lankas Dörfern]


Kurz vor ihrem dreimonatigen Aufenthalt auf Sri Lanka, traf ich noch einmal eine sehr gute Freundin*, welche ich seit der Schule kenne, und als sehr kinderlieb wahrnehme. Dass sie unbedingt auch eine Familie möchte, dass sie eine große Familie hat (ständige Geburten sind da angesagt) und Weiteres spricht für die These. Ich habe beschlossen, sie allgemein zu ihren Wahrnehmungen zu befragen. Wo sieht sie die Unterschiede zwischen Sri Lanka (oder auch asiatischen Ländern) und Deutschland? Wo welche Vorteile? Da sie selbst nicht wirklich von Leistungen des Staates "betroffen" ist, ist dieser erste Beitrag sehr allgemein gehalten. Aber eventuell kann sie uns im Herbst mehr erzählen?!


Auf den Bericht habe ich mich ein wenig vorbereitet. Und war ganz schön überrascht. Erstens man findet kaum was. Zweitens Sri Lanka hat eine recht niedrige Geburtenrate (um die 2,4 Kinder pro Frau. Im Vergleich Deutschland: 1,4). Es wird erst mit Mitte 20 geheiratet, oftmals verhütet. Kinder kommen dort also auch nicht unbedingt sehr früh auf die Welt. Nur was das Stillen angeht, sind sie uns ganz schön voraus oder auch hinterher, wie man es sehen mag. "Beim Stillen hingegen ist Sri Lanka sehr traditionell. Hier würde im Grunde jede Frau ihr Kind stillen, sagt Asha und zwar durchaus ein paar Jahre (...) Beim Stillen liegt Sri Lanka in den Statistiken auf Rang fünf weltweit, was die Häufigkeit der gestillten Kinder angeht." Viertens: das Sozial- und Gesundheitssystem sind für ein Entwicklungsland wohl recht gut ausgebildet. "Werdende Mütter haben Anspruch auf finanzielle Unterstützung". Der Staat verpflichtet sich auch zur "Wohlfahrt" und nimmt deshalb im Vergleich zu benachbarten Staaten, wie Indien, Pakistan, eine Spitzenposition ein. Dies erkennt man an der niedrigen Kindersterblichkeitsrate, einer hohen Kinderimpfungsrate, einer Schulpflicht (niedrige Analphabetisierungsrate), zu welcher sich der Staat in Gesetzen, wie dem Health oder dem Education Act verpflichtet.


Ich lasse uns jetzt von Tharushi einige Eindrücke schildern, lehne mich gespannt mit meinem Kaffee nach hinten und schweife gedanklich in die Ferne. Beziehungsweise auf die Notizen vor mir. Und weiß gar nicht, wo ich genau anfangen soll.

Laut Tharushi unterliegt Sri Lanka einer Zweiteilung: Tradition gegenüber Moderne, wobei selbst das Moderne eher traditionell geprägt ist. Sie spricht über Erfahrungen aus einem tamilen Dorf, sagt, dass sie nicht unbedingt weiß, wie es in den größten Städten aussieht und auch nicht so viel erfährt. Man ist eher still und beantwortet keine Fragen. Ein Grund, warum auch ich nicht alles herausfinden konnte, was ich wirklich wollte, aber genug um einige Sätze zu füllen. Ich versuche es wie immer kurz zu fassen.

(1) Erst Hochzeit, dann Kinder. Am Besten direkt nach der Hochzeit. Nach einem Jahr wird man schräg angeschaut.
(2) Bist du unrein (also: Sex vor der Ehe) wirst du von deiner Familie verstoßen, auch aus deinem Dorf, und lebst zu einer großen Wahrscheinlichkeit auf der Straße.
(3) Für die Hochzeit gibt es von den Brauteltern ein Mitgift. Das heißt, für eine Frau bezahlt man. Also sind Männer mehr angesehen, sie bringen Geld in die Familie.
(4) Es gibt dort sehr wohl noch arrangierte Ehen. Denn es ist wichtig nur in der eigenen Kaste, also ebenbürtig zu bleiben, oder durch eine Hochzeit aufzusteigen (* Politisch gesehen wurde das Kastensystem abgeschafft, allerdings existiert es inoffiziell weiterhin. Auch in Deutschland!). Die Eltern segnen die Hochzeit ab. Beziehungsweise die Familie.
(5) Familie ist in Sri Lanka nicht auf Vater, Mutter, Kind(er) begrenzt, er ist viel weitläufiger gefasst. Dazu gehören auch Cousins dritten Grades, welche man eventuell überhaupt nicht kennt.
(6) Nach einer Hochzeit zieht die Frau zur Familie des Ehemannes. Diese hilft aber auch bei der Betreuung der Kinder. Kinder betreut derjenige, welcher nicht arbeiten gehen kann. Also oftmals eher die Großeltern, als die Eltern.
(7) In Sri Lanka wird die Erziehung von der Mutter übernommen. Gestaltet sich das Kind allerdings als Problemfall, "redet" der Vater Tacheles (* Probleme können schlechte Noten, Zimmer nicht aufgeräumt, der Mutter nicht gehorcht, sein / Tacheles bedeutet auch mal Handgreiflichkeiten). Daraus folgt, dass sich die Kinder eher der Mutter anvertrauen und Angst vor dem Vater entsteht.
(8) Kinder sind in Sri Lanka wertvoll. Denn diese sichern die Altersversorgung.
(9) In Sri Lanka gibt es im Vergleich zu Indien kaum gezielte Abtreibungen / Tötungen von Mädchen, obwohl man für diese die Mitgift bezahlen muss.
(10) Mittlerweile ist der Zugang zu Bildung einfacher, als noch vor einigen Jahren. Sie fängt auch früher an als hier. Lesen, zählen und schreiben können Kinder dort oftmals noch vor unserem Vorschulalter.
(11) Leider gibt es auch die Problematik der Kinderarbeit. Diese beginnt häufig, sobald ein jüngeres Kind in die Schule kommt. Von dem Lohn der Kinderarbeit wird die Bildung des nächsten Kindes bezahlt.

Am Ende habe ich Tharushi gefragt, wo sie die gravierndsten Unterschiede zwischen Deutschland und Sri Lanka sieht. Ihre Antwort kam wie aus dem Mund geschossen. In Deutschland können Frauen selbstbestimmter und offener agieren, haben mehr Chancen auf Karriere und Bildung. In Sri Lanka sind die Frauen aber trotzdem glücklich. Auch was die Familienplanung angeht. Es wird nicht über das nächste Kind nachgedacht. Man macht es einfach und schafft es (auch wenn es nicht immer leicht ist). Familie hat dort einen höheren Stellenwert, ohne sie geht es nicht.


Herzlichst, eure Ephi

Schnittmuster: Shu shu in Größe 92/98 von Schnittgeflüster. Leider noch etwas zu groß.
Stoff: Jeans Jersey von Lillestoff

Quellen:
Baedeker Allianz Reiseführer "Sri Lanka" von Heiner Gstaltmayr, S. 38-40, erschienen im Jahr 2010
"Sri Lanka: Intime Gespräche unter Frauen" von Marion Schwartzkopff, erschienen am 11. Oktober 2013, Zugriff am 21.07.2014
Sri Lanka Wirtschaftsindikatoren: Fertilitätsrate, Geburtenrate und Alphabetisierungsrate auf  TheGlobalEconomy.com , Zugriff am 21.07.2014
Ab damit zu CreaDienstag, Kiddikram und Meitlisache.

* Name von der "Redaktion" geändert. Es wurde ein beliebter Vorname aus Sri Lanka verwendet.

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